“The Swiss trained us to use the Kalashnikov” – 20 Minuten, Switzerland

Original article by Ann Guenter, 20 Minuten, March 1, 2019

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Letzte Woche wurde der Tessiner Johan Cosar für seinen Kampf mit einer Christen-Miliz gegen den IS verurteilt. Seine Kameraden sind empört.

David Abgar ist enttäuscht von der Schweiz. Von ausgerechnet jenem Land, das er wegen seiner humanitären Tradition stets bewundert hat. Das änderte die Verurteilung des Schweizer Unteroffiziers Johan Cosar durch das Militärgericht in Bellinzona. Das Urteil findet er unfair, selbst wenn es mit einer bedingten Geldstrafe eigentlich milde ausfiel. «Dass ausgerechnet die Schweiz Gesetze vor Humanitäres stellt, hätte ich nicht gedacht», sagt Abgar.

20 Minute trifft den 25-jährigen Sprecher der assyrisch-christlichen Miliz MFS im nordsyrischen Derek. Von seiner tarnfarbenen Uniform abgesehen hat er mit seiner Brille und seinem Dreitagebart etwas von einem Hipster einer westlichen Grossstadt.

Cosars Vater ist in Syrien verschollen

Es ist bereits stockdunkel, als wir Abgar treffen – in einem Raum, in dem eine Ölheizung willkommene Wärme verströmt. Die Treffen findet auf dicken Sofakissen am Boden statt, und es wird, wie immer, Chai und pechschwarzer Kaffee gereicht.

Einige Porträts von Männern, die im Kampf gegen die Islamisten des so genannten Islamischen Staates oder die Jihadisten der Al-Nusra-Front ihr Leben liessen, zieren die Wände. Auch ein Poster von Johan Cosars Vater hängt hier.

Er hatte eine hohe Position in der Syriac Union Party inne, der Partei der assyrischen Minderheit im Land, was ihn angreifbar machte. Cosar senior wurde zum Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 verhaftet – wahrscheinlich vom Assad-Regime, das die Verhaftung allerdings bis heute abstreitet. Seither fehlt von dem Mann jedes Lebenszeichen. Es ist zu befürchten, dass er in einem der berüchtigten Foltergefängnisse des syrischen Regimes ums Leben kam.

«Cosar veränderte alles»

Das Verschwinden des Vaters bewog Sohn Johan dazu, nach Syrien zu reisen. «Zu seinem Vater fand er nichts heraus», sagt Abgar. «Was er aber vorfand, war unsere an Leib und Leben bedrohte assyrische Gemeinschaft. Unsere Dörfer wurden von den Islamisten terrorisiert, es gab täglich Entführungen, Vertreibungen, unsägliche Verbrechen. Bislang haben wir in solchen Fällen jeweils unsere Sachen gepackt und sind geflohen», erzählt Abgar. «Doch dann kam Cosar und veränderte alles. Er machte uns klar, dass wir nicht länger weglaufen können. Er motivierte die Assyrer, uns und unser Land zu verteidigen.»

Zusammen mit anderen Assyrern gründete Cosar 2013 den «Militärrat der Assyrer» MSF. Heute umfasst der MSF rund 2500 Kämpfer. Jeder von ihnen weiss, wer der Tessiner ist. «Cosar trainierte uns an den Gewehren und in der Selbstverteidigung», sagt Abgar und liefert sogleich ein anschauliches Beispiel: «Cosar wies uns an, eine Kalaschnikow immer am Munitionsschaft zu halten, um besser zielen zu können und die Waffe zu stabilisieren. Damit stachen wir Assyrer im Kampf gegen die Islamisten heraus, der Griff wurde zu unserem Erkennungsmerkmal. Unsere kurdischen Verbündeten, angeführt von den Syrian Democratic Forces SDF, sahen die Vorteile und kopierten ihn. Das macht uns sehr stolz (siehe Video).»

Dazu habe Cosar den Mitgliedern der Christen-Miliz noch ganz andere Qualitäten vorgelebt – Qualitäten, die sie als etwas typisch Schweizerisches empfinden: «Er räumte sein Pult immer auf, bevor er Feierabend machte. Er ist enorm pflichtbewusst und sauber», so Abgar, der in seinem zivilen Leben Jura studiert. Er grinst: «Auf meinem Pult herrscht immer noch ein Riesenpuff.»

Islamisten vertrieben Assyrer aus ihrer Heimat

In Syrien lebten vor dem Bürgerkrieg rund zwei Millionen assyrische Christen. Und obwohl viele von ihnen ein Loblied auf den Schweizer singen, konnten auch Johan Cosar und sein MSF die grossflächige Vertreibung dieser ethnischen Minderheit nicht verhindern: Etwa 80 Prozent der Assyrer Nordsyriens sind nicht in die Dörfer zurückgekehrt, aus denen die Islamisten sie heraus terrorisierten. Sie wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land oder flohen ins Ausland.

Dennoch ist Sprecher Abgar überzeugt: «Der IS tötete uns aus Spass. Cosar hat einen Genozid verhindert. Unsere Geschichte ist geprägt von Flucht und Vertreibung. Er aber hat uns klargemacht, dass, wenn wir unseren Boden nicht verteidigen können, wir es nicht wert sind, darauf zu leben.»

«Cosar half uns, uns selbst zu helfen»

Die, die zurückgekehrt seien, fühlten sich sicherer, jetzt, wo der IS territorial geschlagen sei – «auch dank Johan Cosar», sagt Abgar. Dennoch seien die Bedrohungen nicht vorbei und die Gefahr, dass die Assyrer wie früher Opfer einer Arabisierung durch das Assad-Regime, den von der Türkei unterstützten islamistischen Milizen oder durch den Iran werden, sei weiterhin gross.

Umso weniger kann der MSF-Sprecher Cosars Verurteilung zu einer bedingten Geldstrafe nachvollziehen. Er verstehe, dass Cosar Schweizer Recht gebrochen habe, als er sich in den Dienst der Christen-Miliz stellte. «Doch es muss doch Ausnahmen geben. Gesetze sollten für Menschen da sein, nicht umgekehrt.»

Cosars Verurteilung, auch wenn «nur» zu einer bedingten Geldstrafe, demoralisiere die assyrische Gemeinschaft, sagt Abgar. «Für uns heisst das, dass die Schweiz uns nicht als schützenswert betrachtet. Doch Cosar kam nicht nach Syrien, um zu kämpfen, sondern um uns auszubilden. Er half uns, uns selbst zu helfen.»