Vergeltung für Terroranschlag: Türkei greift kurdische Ziele in Syrien und im Irak an

Bei Angriffen der Türkei auf Syrien sind acht Menschen getötet worden. Außenminister Hakan Fidan hatte zuvor Angriffe auf die „Infrastruktur“ der PKK angekündigt.

Damaskus – Kaum hatte der türkische Außenminister Hakan Fidan Angriffe auf die Nachbarländer Syrien und Irak angekündigt, wurden am Donnerstag (5. Oktober) mehrere Ziele in Nordostsyrien angegriffen. „Alle Infrastrukturen und Energieanlagen, die der PKK und YPG im Irak und in Syrien gehören, sind von nun an legitime Ziele unserer Sicherheitskräfte“, sagte der Politiker bei einer Pressekonferenz.

Laut dem Rojava Information Center sollen bislang mindestens acht Menschen getötet worden sein. Unter den Opfern soll es auch Kinder geben. Zudem haben die türkischen Drohnen auch Elektrizitätswerke und Ölanlagen getroffen. Ein Ende der Angriffe ist nicht in Sicht. Fidan hatte bei seiner gestrigen Ansage indirekt auch die USA gewarnt. „Ich empfehle Dritten von Anlagen und Personen der YPG und PKK fernzubleiben.“

Eskalation in Syrien: Nach türkischen Angriffen befürchten Experten eine Flüchtlingskrise

„Heute hat die Türkei schwerwiegende Luftangriffe auf die Regionen Nord- und Ostsyriens gestartet, die zweifellos zu erheblichen menschlichen und finanziellen Verlusten führen und eine tragische Flüchtlingskrise auslösen werden.“ Das berichtet Khaled Davrisch, der Vertreter der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland, im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA. „Angesichts dieser alarmierenden Entwicklungen appellieren wir an die internationale Gemeinschaft, sofort zu handeln, um das Leiden der betroffenen Bevölkerung zu lindern und eine dauerhafte Lösung für die Krise in Syrien zu finden“, so Davrisch.

Türkische Sicherheitskräfte riegeln ein Gebiet nach einer Explosion in Ankara am Sonntag, 1. Oktober 2023 ab.
Nach dem Terroranschlag von Ankara greift die Türkei kurdische Stellungen in Syrien und im Irak ab. © dpa/Ali Unal

Menschenrechtsorganisationen evakuieren Mitarbeiter

Auch Menschenrechtsorganisationen schlagen angesichts der Zerstörung von zivilen Zielen Alarm. „Lokale NGOs haben schon begonnen, ihre Mitarbeiter:innen zu evakuieren. Es widerspricht jeglichem Völkerrecht, zivile Ziele zu zerstören. Aber schon letztes Jahr hat die Türkei den Anschlag auf der Istiklal Straße benutzt, um über zwei Wochen gezielt Infrastruktur in der Region zu attackieren. Unter den Folgen leidet die Bevölkerung bis heute. Sollten sich diese Angriffe nun wiederholen, steht eine humanitäre Katastrophe in der Region bevor“, warnt Anita Starosta, Referentin für Syrien, Türkei und Irak bei medico international im Gespräch mit unserer Redaktion.

Humanitäre Katastrophe in Rojava befürchtet

Auch Kamal Sido, Nahostreferent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, warnt im Gespräch mit fr.de vor einer humanitären Katastrophe in der von Kurden als „Rojava“ bezeichneten Region. „Es gab viele Tote und Verletzte. Bundeskanzler Scholz und die gesamte Nato schweigen zu diesen Angriffen“, kritisiert der Nahostexperte. Scholz und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellten sich uneingeschränkt auf die Seite des türkischen Staates, der seit seiner Gründung versucht, die Kurden, ihre Sprache, Kultur und Identität zu vernichten.

Statt Waffen müssten andere Mittel ergriffen werden, erzählt Sido. „Dialog und politische Verhandlungen zwischen dem türkischen Staat und den Kurden in der Türkei tragen dazu bei, die Lage in der Türkei, aber auch in den angrenzenden kurdischen Gebieten in Syrien, im Irak und im Iran zu stabilisieren.“

Die türkische Regierung hatte die Angriffe mit dem jüngsten Anschlag auf das Innenministerium begründet, hinter der die PKK stecken soll. Die Attentäter sollen aus Syrien in die Türkei gekommen sein. Allerdings dementiert der Oberkommandierende der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), Mazloum Abdi, die Aussage aus Ankara.

Attentäter von Ankara offenbar nicht über Syrien gekommen

„Die Attentäter aus Ankara sind nicht durch unsere Region gereist, wie türkische Beamte behaupten, und wir sind weder an dem internen Konflikt der Türkei beteiligt noch unterstützen wir eine Eskalation“, so Abdi in einer Mitteilung auf X.